Ich verstehe Dich, denn ich war vermutlich da, wo Du jetzt bist!

13.03.2024

Ich bin in einem kleinen Dorf bei Nordstemmen aufgewachsen. Mein erster Hund war ein Mischling, Jossi. Damals war ich noch ein Baby und teilt mit Jossi alles, auch meine Schnuller. Leider hatte (habe) ich eine Allergie gegen Hundespeichel und so bekam ich immer wieder Herpes. Da das irgendwann gefährlich wurde, mussten meine Eltern Jossi an eine befreundete Familie geben, wo er sehr alt wurde.
Mit 5 Jahren bekam ich, von meinen Eltern einen Kurzhaardackel geschenkt, den wir ebenfalls Jossi tauften. Jossi war mein bester Freund, allerdings war ich auch die Einzige, die alles mit ihm machen konnte. Weder mein Vater griff in seine Hütte, wenn er da drin war, noch sonst wer und als er meine kleine Schwester mehrfach biss, musste er weg. Damals war ich 8 und ich verstand nicht, warum man dem Hund nicht verständlich machen konnte, dass er das nicht durfte!?
Ich ging viele Jahre mit den Hunden der benachbarten Höfe spazieren. Vor allen Dingen mit einem Deutsch Kurzhaar namens Harro und einem Kleinen Münsterländer namens Ilko. Ilko war eine ganz schöne Knallerbse und zog an der Leine wie ein Ochse. Als Kind wollte ich das einfach nicht und schaffte es irgendwie, ohne viel nachzudenken und ohne irgendwelche komplizierten Techniken, dem Hund zu erklären, dass er an lockerer Leine laufen soll. Keine Ahnung wie, aber irgendwie hat das geklappt.
Als ich 14 war, mussten wir umziehen und ich sagte, ich käme nur unter Protest mit, wenn ich einen Hund bekomme. Und so zog Benji bei uns ein. Ein Deutsch Langhaar-Irish Settermix. Ein derartig unkomplizierter, liebenswerter Hund... naja, nachdem er die Pubertät überstanden hatte. Er konnte erst nicht alleine bleiben und ribbelte während einer Alleinbleibenphase unseren gesamten Teppich im oberen Flur auf, woraufhin mein Vater ihm draußen einen Zwinger baute. Das juckte Benji aber nicht. Er kletterte auf seine Hundehütte und schaffe die restlichen 1,5m irgendwo über den Zaun und lief dann frei im Dorf rum. Wenn das nicht klappte, ließ ihn ein Nachbar raus, der genervt war von seinem Geheule. Ich glaube, insgesamt war Benji zwei Wochen in dem Zwinger, bevor er wieder ins Haus durfte und dort, wie durch ein Wunder weder etwas anstellte, noch Theater machte. Auch mussten wir Benji in seiner Pubertät mehrmals suchen, weil er auf Freiersfüßen durchs Dorf stiften ging. Aber danach wußte Benji genau, wann er sie wo, wie zu verhalten hatte. Allerdings konnte auch er wenig Tricks/ Kommandos, es sei denn, wir Kinder brachten ihm die bei. Er war aber dennoch gut erzogen ;-) Ein wichtiger Unterschied, den heute die meisten nicht mehr kennen!
Und dann kam Josie!! Josie war eine Mischlingshündin zwischen Kleinem Münsterländer und Bearded Collie. Sie war bereits ein Jahr alt, als sie zu uns kam und ihre Familie wollte sie nicht mehr, weil sie angeblich nur Mist baute. Durch Josie wurde mein Wunsch, damals war ich Mitte 20, geweckt, Hunde besser zu verstehen und so auch besser anleiten zu können. Im Jahr 2006 brachte Josie Welpen zur Welt und ich behielt zwei davon. Naya und Cassidy. Der Vater der beiden war ein Mischling zwischen Hovawart und Deutschem Schäferhund. Cassidy hatte alle Ruhe und Souveränität mitbekommen, die möglich ist und Naya das genaue Gegenteil.
Naya wollte einfach nicht lernen, an lockerer Leine zu gehen. Wenn ich nur ihre Schwester trainierte oder sie insgesamt warten musste, dann regte sie sich furchbar auf und machte ihrem Frust lauthals Luft. Sie begann andere Hunde anzupöbeln (das einzige Mal, dass sie ihre Schwester mit aktivierte), war dann nicht abrufbar, sprang Besuch bis zum Hals an und konnte sich einfach auf nichts lange konzentrieren.
Ich war frustriert!!! Sie war frustriert! Aber, dieser Hund musste "funktionieren", waren sie und ihre Schwester doch meine "Aushängeschilder" für die Hundeschule, die ich gerade eröffnete.
Zwei Jahre lang, hat es gedauert, bis ich Naya verstand. Ausschlag gab ein Kollege bei einem Seminar. Dem ich erzählte, was Naya für ein Knallgestirn sei. Während ich das erzählte lagen Naya, Cassidy, die Hündin einer Freundin, die ich im Urlaub in Pflege hatte und ein weiterer Pflegehund, ein Langhaardackel, gemeinsam auf eine großen Decke hinter mir, in einer riesigen Lagerhalle, mit 30 Personen und 40 kläffenden Hunden, drum herum. Ich erklärte also, was Naya für ein durchgeknallter Hund war. Der Kollege sah mich an, sah auf die Decke, wo meine Hunde lagen und meinte: "Warum ist sie nicht dabei?" ich erklärte: "Ist sie, es ist die Dunkelbraune." Er sah mich lange an und meinte dann: "Die Hündin, die heute bereits den 2. Tag mit drei anderen Hunden auf der Decke hinter dir liegt, ohne das auch nur einmal in Frage zu stellen, ohne zu bellen, ohne Theater zu machen? Die Hündin, die mit dir hier Dummy gespielt hat für zig andere tobende, verrückte Hunde?" Ich bejahte das etwas irritiert. Und er meinte: "Wenn du wirklich von dieser Hündin sprichst, die so durchgeknallt ist, dann solltest du dir überlegen, was genau du sonst anders machst als jetzt. Dann hast du deine Lösung."
Man war ich sauer! Wie sollte mir das denn helfen? Das ist nun weit über 10 Jahre her und damals wurde ich das erste Mal ganz bewußt mit Mindset, Ausstrahlung, Kopfkino, eigener Souveränität und so vielen Dingen mehr konfrontiert... BEIM MENSCHEN!! So richtig hatte ich mir darüber vorher nie Gedanken gemacht, das war einfach auch noch nicht so richtig in der Hundetrainingswelt angekommen.
Aber dann!!!
Ich begann mich mit der menschlichen Psyche noch intensiver zu beschäftigen. Viele Bücher darüber fanden ihren Weg zu mir. Meine eigenen Erfahrungen aus dem Kampfsport, meiner Zusatzausbildung als Kommunikationspsychologin und so modernen Sachen wie "Mindset" (damals war das noch mehr als modern und hatte noch nicht mal einen Namen), gewannen Einzug in meine Trainings.
Naya habe ich es zu verdanken, dass ich verstand, wie wichtig der Mensch zum Hund in vielen Bereichen ist. Nicht, dass der Mensch an allem Schuld ist - überhaupt nicht! Aber er ist Teil eines Systems in das man so leicht reinschliddert und wo man nur so schwer wieder raus kommt.
Und dann lernte ich meine Lebensgefährtin Nicole und ihre beiden Hunde Mona und Benny kennen. Und Benny, ein Harzer Fuchs, war mein nächster bester Lehrer für alles, den man sich so vorstellen konnte. Er zog an der Leine wie ein Berserker, war überhaupt nicht orientiert an Menschen, er jagte Wild, Roller, Jogger, Züge, Traktoren und alles, was nicht bei drei auf dem Baum war, wollte man ihn bürsten, musste man ihn mit Maulkorb sichern, weil er gerne mal seine Zähne in einem vergrub, wenn es ziepte; er klaute wie ein Rabe, sogar mal einen heißen Braten aus der Pfanne, pöbelte alles an, was uns so begegnete und wenn sich jemand nicht an SEINE Regeln hielt, machte er auch da Löcher.
Innerhalb von 8 Wochen wurde aus der taffen Hundetrainerin "Jenni" eine verunsicherte Hundehalterin, die irgendwie versuchte, den Alltag mit diesem Hund zu überstehen. Ich verlor mich selbst! Ich fühlte mich hilflos, ich hatte keine Selbstwirksamkeit mehr.. keine normale Erziehungsmaßnahme, kein Training wollte greifen. Benny verstand alles; allerdings verstand er sich auch gut darauf, selbst zu entscheiden, ob er sich dran hält oder nicht. Benny hat mich an meine Grenzen und weit darüber hinaus gebracht. Benny und Naya waren die Hunde, die mich bis heute nicht vergessen lassen, wie verzweifelt, frustriert, wütend, hilflos und selbstunwirksam man sich fühlen kann, wenn man glaubt alles zu tun und dennoch nichts funktioniert.
Wie ging die Geschichte mit Benny aus? Kein Hund brauchte so sehr einen SOZIALEN PARTNER wie Benny. Benny wollte Gespräche führen, ernsthafte, ruhige Gespräche. Benny wollte sehen, dass da jemand ist, der auch im Konflikt ein Fels in der Brandung ist und auf wichtige Punkte besteht, ohne dabei die Fassung zu verlieren. Benny wollte jemanden, der für die Gruppe da ist und dem das Außen egal ist. Je unwichtiger es wurde, was andere dachten, wenn ich mit dem tobenden und geifernden Harzer Fuchs am Rand stand und ihm erklärte, dass man sich so nicht verhält, umso schneller konnte Benny sich beruhigen. Durch Benny lernte ich WIRKLICHE Ruhe und Souveränität im Konflikt auszustrahlen und das fiel mit wirklich nicht leicht, war ich doch jemand, der ebenso leicht aus der Hose hüpfen konnte.
Ja, ehrlicherweise lernte ich in keinem Seminar, in keiner Ausbildung, nirgends so viel über mich, wie durch meine Hunde.
Ich begriff aber auch, dass sowas nicht im Hau-Ruck-Verfahren geht.

Jenni